Yanis Varoufakis: Von Griechen und Deutschen – Unsere gemeinsame Zukunft neu überdenken

Hier die deutsche Übersetzung des Beitrags Of Greeks and Germans: Reimagining our shared future von Yanis Varoufakis am 20.03.2015 in seinem Blog.

25. März 2015: Yanis Varoufakis hat diesen Beitrag in seinem Blog gelöscht und eine überarbeitete Fassung heute bei Project Syndicate veröffentlicht.

Von Griechen und Deutschen: unsere gemeinsame Zukunft neu überdenken

Jeder vernünftige Mensch kann sehen, wie ein bestimmtes Video, dessen Vorführung eine ansonsten konstruktive Diskussion im deutschen Fernsehen entgleisen liess, Teil von etwas wurde, das über die Bedeutung einer Geste hinausgeht. Es löste einen Wirbel aus, der die Art und Weise widerspiegelt, wie die Bankenkrise von 2008 Europas schlecht konstruierte Währungsunion zu unterminieren begann und stolze Nationen gegeneinander aufbrachte.

Als der griechische Staat Anfang 2010 die Fähigkeit verlor, seine Schulden bei französischen, deutschen und griechischen Banken zu bedienen, habe ich mich gegen das Bestreben der griechischen Regierung gewandt, ein weiteres enorm hohes Darlehen von den europäischen Steuerzahlern zu erhalten. Warum?

Ich war gegen die „Rettungskredite“ der deutschen und europäischen Steuerzahler von 2010 und 2012, weil

  • die neuen Kredite keine Rettungsmaßnahme für Griechenland waren, sondern eine zynische Übertragung von Verlusten aus den Büchern privater Banken auf die schwachen Schultern der schwächsten griechischen Bürger. (Wie viele der europäischen Steuerzahler, die für diese Kredite haften, wissen, dass mehr als 90% der € 240 Milliarden, die Griechenland sich lieh, an Finanzinstitutionen ging und nicht an den griechischen Staat oder seine Bürger?)
  • es zu einem Zeitpunkt, als Griechenland nicht einmal mehr seine bestehenden Darlehen zurückzahlen konnte, offensichtlich war, dass die mit den neuen Krediten verbundenen Sparkonditionen die griechischen Nominaleinkommen ganz erheblich verringern würden, mit der Folge, dass unsere Schulden noch weniger tragbar sein würden
  • die Kosten der „Rettungsmaßnahmen“ früher oder später die deutschen und europäischen Steuerzahler belasten würden, sobald nämlich die schwächeren Griechen unter ihrer gewaltigen Schuldenlast zusammengebrochen sein würden (zumal vermögende Griechen ihr Geld schon nach Frankfurt, London etc. verschoben hatten)
  • es Deutsche gegen Griechen und Griechen gegen Deutsche aufbringen und schließlich in ganz Europa für Unfrieden sorgen würde, wenn man die Bevölkerungen und die Parlamente irreführt, indem man eine Bankenrettung als einen Solidaritätsakt für Griechenland darstellt.

2010 schuldete Griechenland den deutschen Steuerzahlern keinen einzigen Euro. Wir hatten kein Recht, von ihnen oder anderen europäischen Steuerzahlern Geld zu leihen, solange schon unsere bestehenden Staatsschulden nicht tragbar waren. Punkt.

Das war mein umstrittenes Argument im Jahr 2010: Zu diesem Zeitpunkt hätte Griechenland nicht einen Euro leihen dürfen, solange es nicht Umschuldungsvereinbarungen gegeben hätte und der Staat gegenüber seinen Gläubigern aus dem privaten Sektor zumindest teilweise die Zahlungen eingestellt hätte.

Lange vor dem „Bailout“ im Mai 2010 habe ich die europäischen Bürger gedrängt, von ihren Regierungen zu verlangen, nicht einmal daran zu denken, Verluste aus dem Privatsektor der steuerzahlenden Bevölkerung aufzubürden.

Natürlich vergebens. Die Übertragung erfolgte kurz darauf (im Mai 2010 in Höhe von € 110 Milliarden und dann noch einmal € 130 Milliarden im Frühjahr 2012) in Form der größten jemals durch Steuerzahler abgesicherten Kredite der Wirtschaftsgeschichte, die nun an den griechischen Staat vergeben wurden – verbunden mit Sparauflagen, die zur Folge hatten, dass die Griechen 25 % ihrer Einkommen verloren (was es endgültig unmöglich machte, private und öffentliche Schulden zurückzuzahlen), und die eine abscheuliche humanitäre Krise bewirkt haben.

Das war damals, 2010. Was sollten wir aber jetzt tun, 2015, wo Griechenland weiterhin in der Krise steckt und unsere Bevölkerungen, die Griechen und die Deutschen – bedauerlich aber vorhersehbar – in gegenseitigen Schuldzuweisungen versinken?

Erstens sollten wir darauf hinarbeiten, die toxischen gegenseitigen Vorwürfe und moralisierenden Schuldzuweisungen zu beenden, von denen nur die Feinde Europas profitieren.

Zweitens müssen wir uns auf unsere gemeinsamen Interessen konzentrieren: darauf, wie Griechenland sich reformieren und wieder wachsen kann, sodass der griechische Staat in die Lage versetzt wird, die Schulden zurückzuzahlen, die er niemals hätte machen sollen, während er sich gleichzeitig um seine Bürger kümmert, wie es ein moderner europäischer Staat tun sollte.

In praktischer Hinsicht bietet die Vereinbarung der Eurogruppe vom 20. Februar eine ausgezeichnete Möglichkeit voranzukommen. Lasst sie uns umgehend umsetzen, wie unsere Regierungschefs gestern auf dem informellen Brüsseler Spitzentreffen gemahnt haben.

Wenn wir über die gegenwärtigen Spannungen hinausblicken in die Zukunft, so ist unsere gemeinsame Aufgabe, Europa so umzugestalten, dass Deutsche und Griechen zusammen mit allen anderen Europäern unsere Währungsunion als Grundlage gemeinsamen Wohlergehens erleben können.

(Übersetzung: Markus Wichmann)

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