Schäubles Agitation

Agitation: (lat. agitare, „aufwiegeln“) politische Verführungskunst; ein Agitator will – meist im Hinblick auf einen politischen Gegner – durch motivierende, anspornende oder aufrührerische Reden eine größere Menge von Menschen zu einer gemeinsamen Haltung oder Aktion bewegen. Das aufklärerische Moment tritt in den Hintergrund. Stattdessen wird auf Emotionalisierung, Suggestion, Polarisierung und Vereinfachung gesetzt, um unter Umgehung von Gegenargumenten, Abwägungen oder weiterführenden Überlegungen Stimmungen zu erzeugen. (nach Wikipedia)

Schäuble keilt gegen Griechenland“, titelt das Handelsblatt.  „Schäuble rechnet mit Tsipras-Regierung ab: «Alles Vertrauen zerstört»„, so die Überschrift bei ntv.  Von einer „Wutrede des Finanzministers“ spricht die FAZ und beschreibt seine „Abrechnung mit Athen“. In einem „Rundumschlag“ habe er gestern die griechische Regierung kritisiert:

„Sie haben alles Vertrauen zerstört. Das ist ein schwerer Rückschlag“, sagte Schäuble am Montag bei einer Diskussionsveranstaltung der Adenauer­-Stiftung in Berlin.

Er warf der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras vor, nicht nur Absprachen zu brechen, sondern auch die Griechen zu belügen, indem sie die Schuld immer nur bei Berlin, Brüssel und dem Rest Europas suche. (…)

Bis November sei Athen auf einem guten Weg gewesen. Die Linksradikalen hätten die Fortschritte verspielt. Tsipras’ Konzept werde „so nicht funktionieren“. Er kenne niemanden in den internationalen Institutionen, der ihm sagen könne, was Athen eigentlich wolle.

Es sei an der Zeit, dass das Land sich „allmählich langsam an die Realität“ annähere. Es sei falsch zu glauben, „wir hätten das Land zu Tode gespart“. Die griechischen Eliten hätten über Jahrzehnte versagt, dazu habe das Euro­Land über seine Verhältnisse gelebt, bekräftigte Schäuble seine Haltung.

Wenn aber „die Verantwortlichen in diesem Land das Volk belügen“, dann sei es nicht verwunderlich, dass das Volk so reagiere, meinte der CDU­-Politiker, der mit DGB-­Chef Reiner Hoffmann eigentlich nur über Jugendarbeitslosigkeit diskutieren wollte.

Schäuble berichtete, er habe Tsipras schon vor einiger Zeit folgende Prognose gestellt: Entweder werde dieser scheitern oder das Gegenteil seiner Wahlkampfversprechen umsetzen müssen.“

Diesen letzten Absatz lasse man sich auf der Zunge zergehen. Genau dies war von Anfang an Schäubles Konzept, nachdem Alexis Tsipras mit der linken SYRIZA die Wahl in Griechenland gewonnen hatte: Entweder Tsipras und die neue griechische Regierung unterwerfen sich den etablierten europäischen Parteien und Institutionen mit ihrem neoliberalen Ökonomieverständnis und akzeptieren die bestehende Reformagenda auf Basis der Sparpolitik, realisieren in ihrem politischen Handeln also das Gegenteil ihrer Wahlversprechen und verraten alles, wofür sie angetreten sind und gewählt wurden, oder – sie werden scheitern. (Was Schäuble nicht sagte, aber dachte: Dafür wird man dann sorgen.)

Von Beginn an wurde diese Strategie realisiert. Mit Gesinnungsgenossen wie dem niederländischen Finanzminister und Eurogruppen-Chef Dijsselbloem setzte Schäuble in der Eurogruppe eine Haltung der Unnachgiebigkeit gegenüber der neuen griechischen Regierung durch, von der die strikte Einhaltung und vollständige Umsetzung der „Reform“-Vorgaben verlangt wurde, die mit den soeben abgewählten griechischen Vorgängerregierungen ausgehandelt worden waren. Andernfalls: kein weiteres Geld.

Flankiert wurde dieses Vorgehen durch eine Propagandastrategie, mit der die neue griechische Regierung von Anfang an als unerfahren und unprofessionell diskreditiert wurde, naiv in ihren Erwartungen und dilettantisch im Herangehen. Vor allem Finanzminister Varoufakis wurde zur Zielscheibe von Vorwürfen, Spott und Häme, wobei es vorwiegend um Stilfragen verschiedenster Art ging.

Schon bald schien man allerlei schlechte Erfahrungen mit der neuen Regierung Griechenlands gesammelt zu haben, sodass nun das Verdikt verbreitet werden konnte, man habe das Vertrauen verloren – ein höchst wirksames Killerargument. Er habe nie Vertrauen genossen, stellte Varoufakis wahrheitsgemäß fest.

Was wir derzeit erleben, ist ein knallhartes Machtspiel, mit dem eine vom Volk gewählte linke Regierung eines Landes von den etablierten europäischen Parteien unterworfen werden soll. Von denen, die herrschen, die in Europa seit Jahrzehnten die Politik bestimmen. Erleben dürfen wir das Schauspiel, aber durchschauen sollen wir es nicht. Es ist Teil der Inszenierung, dass die Deutungshoheit über das Geschehen von den herrschenden Kräften ausgeübt wird.

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Ein Kommentar

  1. Hat dies auf mark2323 rebloggt und kommentierte:
    Schäuble, der hässliche Deutsche…)

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