Agitation mit verdeckter Strategie: das „Friedensmanifest“ Alice Schwarzers und Sahra Wagenknechts

Schulter an Schulter stehen sie da, die beiden Ikonen des Feminismus und der bundesdeutschen Linken, um ihren Widerstand gegen einen (männlich geprägten?) Mainstream in der Debatte um den richtigen Weg Deutschlands im Ukrainekrieg zu artikulieren.

Politische Krisen sind die Zeit der Manifeste. Intellektuelle und Prominente aller Couleur melden sich mit Thesen, Appellen und offenen Briefen zu Wort, um den gesellschaftlichen Diskurs im Kampf um die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen: Wenn alternative Sichtweisen und Argumente vorgetragen werden und beispielsweise auf Aspekte aufmerksam gemacht wird, die im öffentlichen Diskurs unterbelichtet sind, wird das Problembewusstsein der Bevölkerung erweitert, und es können tiefergehende Reflexionsprozesse angeregt werden. Der gesellschaftliche Meinungsbildungsprozess kann so wertvolle Impulse erhalten.

In manchen Fällen arbeiten die Deklarationen prominenter Mitbürger allerdings mit den Mitteln der Agitation und Demagogie. Ein bedauerliches, aber treffendes Beispiel dieser Art der Einflussnahme ist das „Manifest für Frieden von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Die beiden Friedensaktivistinnen setzen auf Polarisierung, Emotionalisierung, Vereinfachung und Suggestion. Sachliche Abwägungen oder gar die Berücksichtigung anderer Sichtweisen und Argumente fehlen. Es geht allein darum, Verunsicherung zu verbreiten und die reichlich vorhandenen Ängste der Bevölkerung nach Kräften zu schüren.

Schauen wir uns den Verlauf der Argumentation näher an. Zu Beginn ihres Statements führen die beiden Friedensstreiterinnen den ganzen Schrecken dieses Krieges noch einmal vor Augen und weisen auf die Ängste der Menschen in ganz Europa hin, er könne sich ausweiten. Andererseits lassen sie keinen Zweifel daran, dass „die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung“ unsere Solidarität braucht. Aber, so fragen sie im gleichen Zuge, „was wäre denn jetzt solidarisch?“ Sie öffnen unseren Blick dafür, dass es grundsätzlich eine offene Frage ist, auf welche Weise wir unsere Solidarität zeigen wollen und worin sie bestehen soll. Soweit, so gut. Oder verfolgen die Damen mit dieser Frage noch eine andere, verdeckte Agenda? Wir werden sehen.

Sie stellen sodann noch zwei weitere Fragen in den Raum: „Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden?“ Und vor diesem Hintergrund: Was ist jetzt eigentlich das Ziel des Krieges, ein Jahr nach dessen Beginn? Präsident Selenskij jedenfalls mache aus seinem Ziel kein Geheimnis: Er fordere jetzt Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – „um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?“ So wird es, wenn auch mit einem Fragezeichen versehen, nahegelegt. Dann aber wäre nicht nur Putin, sondern auch Selenskij der Kriegstreiber!

Nun fahren die beiden Aktivistinnen beim Ängsteschüren ein schweres Geschütz auf: Spätestens bei einem Angriff auf die Krim, so sei zu befürchten, werde Putin „zu einem maximalen Gegenschlag“ ausholen. Dieser Einfall ist merkwürdig, denn tatsächlich steht ein Angriff auf die Krim weder bevor noch überhaupt zur Debatte. Allen einigermaßen realpolitisch denkenden Beobachtern, Herrn Selenskij eingeschlossen, ist klar, dass die Ukraine die Krim eben wohl nicht zurückerhalten wird.

Die Befürchtung der beiden Putinversteherinnen sollte denn auch lediglich dazu dienen, einen weiteren Teufel an die Wand zu malen: Unaufhaltsam könnten wir so „auf einer Rutschbahn“ in einen Weltkrieg und Atomkrieg schlittern. Schließlich wäre es „nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat“. Aber, dieser Hinweis darf nicht fehlen, „es wäre vielleicht der Letzte“.

In ihrer grundsätzlichen militärischen Lagebeurteilung sind sich beide Damen sicher: Zwar könne die Ukraine, unterstützt durch den Westen, einzelne Schlachten gewinnen, nicht aber einen Krieg gegen die größte Atommacht der Welt. Auch General Milley, der höchste militärische Befehlshaber der USA, spreche „von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann“. „Warum dann nicht jetzt, sofort!“ beeilen sich Schwarzer und Wagenknecht zu fordern – und blenden aus, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Bereitschaft zu Verhandlungen besteht, auf beiden Seiten.

Aber sie hatten ja ausdrücklich offen gelassen, was denn jetzt solidarisch wäre, worin zum gegenwärtigen Zeitpunkt unsere Solidarität mit der Ukraine bestehen sollte. Hier kommt nun die verdeckte Argumentationsstrategie der beiden Friedensstifterinnen ins Spiel. Wenn die Ukrainer nicht verhandeln wollen, weil es das Ziel von Präsident Selenskij ist, „Russland auf ganzer Linie zu besiegen“, dann müssen eben die Waffenlieferungen des Westens gestoppt werden. Die unausgesprochene Schlussfolgerung: Dann wird die Ukraine gezwungen sein zu verhandeln.

„Verhandeln“, wird Selenskij ins Stammbuch geschrieben, bedeute ja nicht „Kapitulieren“, sondern Kompromisse schließen, auf beiden Seiten. Mit dem ehrenwerten Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. So definieren die beiden Damen den rechten Weg für die Ukraine, und so denke auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Daher sei der Kanzler jetzt in die Pflicht zu nehmen und an seinen Schwur zu erinnern, Schaden vom deutschen Volk zu wenden. „Jetzt“, unverzüglich, müsse er die Eskalation der Waffenlieferungen stoppen.

Denn darin, das ist die gemeinsame Botschaft der Linken und der Feministin, besteht die wahre Solidarität mit der Ukraine. Wenn man die empfohlene Strategie zuende denkt, kann man es nur als perfide empfinden, sie als Solidarität mit der Ukraine verkaufen zu wollen. Und übrigens: so denkt die Hälfte der deutschen Bevölkerung mitnichten!

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4 Kommentare

  1. Markus Wichmann

     /  13. Februar 2023

    Im Interesse der Debattenfairness hier der Hinweis auf ein Video, in dem Sahra Wagenknecht ihren Standpunkt näher erläutert (ca. 20 Min.).

    Antworten
  2. Werner Witten

     /  14. Februar 2023

    Seltsam, daß selbst viele (Ex-)Militärs im Westen einen Gewinn des Krieges für die Ukraine für aussichtslos, aber einen Atomkrieg mit jeder neuen Runde der Eskalationsspirale für immer wahrscheinlicher halten. Es muß nur einmal jemand aus Versehen den falschen Knopf drücken – z.B. daß eine russische Granate in Polen landet – dann gilt Paragraph 5. Aber vermutlich haben diese Generäle a.D. auch keine Ahnung, sondern sind auch nur „unwissende Mädchen“. Seltsamerweise kommt der Widerstand hauptsächlich von älteren Semestern – die, die noch nahe genug am 2. WK dran waren und zumindest seine Überreste wegräumen durften. Die jüngeren Generationen (wozu auch unsere Regierungsmannschaft und die meisten Journalisten gehören), scheinen Krieg mit einem Computerspiel zu verwechseln.

    Sowohl der Bäuerin in der Ukraine als auch dem (zwangsrekrutierten) russischen Soldaten ist es wahrscheinlich letztendlich wichtiger zu leben, als für einen abstrakten Wert wie die „westliche Freiheit“ oder die „russische Nation“ zu sterben. Damit wird es für die betroffenen Menschen ein wenig egal, wer gewinnt, wenn es nur bald aufhört – für die Börsen natürlich nicht. Immerhin geht es um Land, Rohstoffe, Einflußzonen, Waffentests – Dinge, von denen der kleine Mann nichts hat – die die Politiker und Konzernmedien aber befeuern, eine Rechtfertigung nach der anderen für die Weiterführung des Krieges zu bemühen.

    Letztendlich ist es also kein Krieg der Russen gegen die Ukrainer, sondern ein Krieg von Oben gegen Unten: der Eliten gegen die Menschen – wie immer in der Weltgeschichte! Und Herr Selenski ist in diesem Stellvertreterkrieg nur eine Sprechpuppe, der nicht viel zu sagen hat.

    Das, was man Schwarzer und Wagenknecht wirklich ankreiden kann, ist, daß sie aus Gründen der größeren Anschlußfähigkeit die Vorgeschichte weggelassen haben – daß der Krieg nämlich schon seit 2014 läuft und das Eingreifen Russlands lange nicht so „unprovoziert“ war, wie unsere MSM unisono behaupten.

    Na ja – kann natürlich aus anderer Perspektive auch ganz anders aussehen B-)

    W.W. (auch ein Alt-68er)

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    • Markus Wichmann

       /  14. Februar 2023

      In wesentlichen Punkten stimme ich Ihnen zu.

      Die Eskalationsspirale ist brandgefährlich. Die Frage ist nur, wie man sie stoppen kann, ohne die Ukraine zu schwächen und Russland zu stärken.

      Völlig daneben liegen diejenigen, die nicht müde werden zu wiederholen, die Ukraine müsse „siegen“, den Krieg „gewinnen“, wie beispielsweise der Herr Oberst Kiesewetter von der CDU. Das sind Kriegstreiber, die weitab von den Schützengräben in Talkshowsesseln sitzen und das Grauen, das entsetzliche Leid, das entfesselte militärische Gewalt mit sich bringt, nicht wirklich an sich herankommen lassen, nicht mitempfinden.

      Andererseits darf man das vitale Interesse der ukrainischen Bevölkerung, sich gegen den Überfall Russlands zur Wehr zu setzen, nicht unterschätzen. Man stelle sich vor, die Russen würden bei uns einmarschieren. Um die gewaltsame Okkupation des eigenen Landes durch eine fremde Macht abzuwehren, waren Menschen schon immer bereit, ihr Leben einzusetzen. In dieser Situation das eigene Land zu verteidigen erlebt man nicht als „abstrakten Wert“. Vor diesem Hintergrund ist es also nicht nur ein Krieg „oben gegen unten“ oder „Elite gegen die kleinen Leute“. Auf Russland mag das zutreffen, auf die ukrainische Bevölkerung offensichtlich nicht. Und Herr Selenskij ist sichtlich auch keine Sprechpuppe, sondern in der gegenwärtigen Lage ein sehr wirkungsvoller Führer seines Landes. Auch der Begriff „Stellvertreterkrieg“ passt hier m.E. nicht. Die Ukrainer kämpfen gewiss auch um die Möglichkeit, in ihrem Land eine europäische bzw. westliche Lebensweise verwirklichen zu können, aber in erster Linie doch gegen eine russische Besatzung.

      Antworten
  3. Markus Wichmann

     /  21. Februar 2023

    Der nachfolgende Kommentar eines guten Freundes wurde mir persönlich zugeleitet:

    Verhandeln bedeutet nicht Kapitulieren

    Kein Zweifel: Schon die ersten Zeilen dieses Beitrags lassen keine sachliche Auseinandersetzung des Autors mit dem Manifest der Schwarzer und Wagenknecht erwarten. Als Ikonen des Feminismus und der bundesdeutschen Linken bekommen die beiden Frauen von vornherein ein Etikett verpasst, das sie für den männlich geprägten, mittelständischen Diskurs ins Abseits befördert.

    Ein ehrbares Etikett, das ihnen zusteht und sie keineswegs ins Abseits befördert.

    Später werden sie ironisch als Friedenstreiterinnen tituliert und als Aktivistinnen beim Ängsteschüren, und fehlen darf natürlich nicht, den beiden Damen mit dem vernichtenden Etikett „Putinversteherinnen“ final die Rote Karte zu zeigen.

    „Scherz, Satire Ironie und tiefere Bedeutung…“

    Schauen wir uns doch den Verlauf des Denkraumpamphlets näher an. Der Schreiber attestiert dem Manifest zunächst, dass es unseren Blick dafür öffnet, dass es grundsätzlich eine offene Frage ist, auf welche Weise wir unsere Solidarität zeigen wollen und worin sie bestehen soll, um sofort hinter der Frage eine andere, verdeckte Agenda zu vermuten.

    Was sich schließlich bewahrheitet.

    Er unterstellt den Autorinnen des Manifests, sie hielten Putin und Selenskij gleichermaßen für Kriegstreiber. Welch ein billiges Mißverständnis! Mag auch die Formulierung ‚Russland auf ganzer Linie zu besiegen‘ unglücklich gewählt sein, so steht doch außer Frage, dass Selenskij die Vertreibung der russischen Streitkräfte von allen besetzten Territorien der Ukraine samt der Krim als Kriegsziel erklärt hat.

    Wer in dieser brisanten Angelegenheit den Gegner „auf ganzer Linie besiegen“ will und jegliche Kompromisse ablehnt, somit gewissermaßen „vernichtend schlagen“ will, den kann man in der Tat als Kriegstreiber bezeichnen.

    Nicht von ungefähr berührt dieses Thema die vom Mainstream gepflegten Vorwürfe gegen Kanzler Scholz, er weigere sich beharrlich, als Ziel deutscher Ukraine-Politik den militärischen Sieg der Ukraine zu fordern.

    Dass Scholz sich weigert, den Sieg zu fordern, und sich stattdessen auf die Formulierung beschränkt, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, ist sehr zu begrüßen.

    Bisher konnte niemand, außer vielleicht einiger Ignoranten des realen Kräfteverhältnis, konkret beschreiben, wie dieser militärische Sieg der Ukraine gelingen soll.

    Eben! Daher kann man diejenigen, die gleichwohl einen Sieg der Ukraine „auf ganzer Linie“ fordern, als Kriegstreiber bezeichnen.

    Die Bedenken, dass die Forderung des stellvertretenden Außenministers der Ukraine an den Westen, Raketen mit größerer Reichweite, Kampfjets, U-Boote und Kriegsschiffe bereitzustellen, auch auf die Rückeroberung der Krim zielt, sollte für alle einigermaßen realpolitisch denkenden Beobachter nachvollziehbar sein. U-Boote und Kriegsschiffe werden kaum für einen Einsatz auf dem Dnipro verlangt.

    Hier könnte mein guter Freund einen Punkt haben.

    Nicht nur General Milley sondern auch viele deutsche Talkshow-Militär-Experten gestehen nach heftigem Plädoyer für schwere und schwerere Waffen schließlich, dass keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Ist es dann so abwegig, die gebetsmühlenartig geführte Diskussion für wenig fruchtbar zu halten, der Krieg müsse zum Wohl der Ukraine nur heftiger unterstützt werden, bis die Parteien dann in weiter Ferne am Verhandlungstisch sitzen?

    Das Plädoyer, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine müsse angesichts der gegenwärtigen Kriegslage weiterhin durch Waffenlieferungen unterstützt werden, ist deshalb richtig, weil damit die Aussichten auf eine Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft der russischen Seite gefördert werden.

    Ist es abwegig, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen?

    Bundeskanzler Scholz ist beständig dabei, die weitere „Eskalation“ der Waffenlieferungen zu stoppen.

    Die Zusage, die schweren Kampfpanzern zu liefern, ist kaum rückgängig zu machen. Ist es falsch, eine Allianz für Friedensverhandlungen zu fordern, die natürlich nur nach einem Waffenstillstand wirken kann. Wie können die vermeintlich Neutralen, China, Brasilien und nicht zuletzt die Uno für diesen Prozess gewonnen werden?

    Selbstverständlich sind Friedensverhandlungen jederzeit zu begrüßen.

    Die billige Attacke des Denkraumbeitrags gegen die, die ernsthaft unter dem Sterben und Leiden des ukrainischen Volkes mitleiden, führt nicht dazu, die breitgetretenen Denkpfade zu verlassen und nach neuen Überlegungen für das Beenden des Krieges zu suchen.

    In dem Friedensmanifest von Schwarzer und Wagenknecht wird insinuiert, durch einen Stopp der Waffenlieferungen entgegen der ukrainischen Forderungen zeige man wahre Solidarität mit der Ukraine. Das halte ich für perfide, denn in Wahrheit würde man die Ukraine so ans russische Messer liefern.

    Antworten

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