Der mit den coolsten Sprüchen – Führungskultur bei Axel Springer

Mathias Döpfner ist ohne Zweifel ein hochintelligenter Mann. Man erkennt dies mühelos, wenn man sich einige seiner zahlreichen Interviews und Reden auf YouTube anschaut, in denen er sachkundig und höchst eloquent über die Herausforderungen spricht, denen die Medienbranche im Zeitalter der Digitalisierung gegenübersteht.

Und doch hat er, wie die „Zeit“ aufdeckte, in zahlreichen Chatmitteilungen an führende Mitarbeiter politische Überzeugungen offenbart, die einfach unsäglich sind. In drastischer Stammtischmanier verkündet er dort reaktionäre Ansichten voller Pauschalurteile, Entwertungen und Ressentiments, formuliert in einer vulgären, verrohten Sprache.

Einige seiner Äußerungen im Originaltext (nach einer Zusammenstellung der Süddeutschen Zeitung):

  • „…über Ostdeutsche: ‚Meine Mutter hat es schon immer gesagt. Die ossis werden nie Demokraten. Vielleicht sollte man aus der ehemaligen ddr eine Agrar und Produktions Zone mit Einheitslohn machen.‘ Und: ‚Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.'“
  • „…über ‚M‘, mutmaßlich Angela Merkel, als diese gerade zornig nach Thüringen telefoniert hatte, nachdem dort die CDU mit Hilfe der AfD den FDP-Menschen Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt hatte: ‚Das Land hat jeden Kompass verloren. Und M den Verstand. Sie ist ein sargnagel der Demokratie. Bald hat die afd die absolute Mehrheit.'“
  • „…über die westliche Welt: ‚free west, fuck the intolerant muslims und all das andere Gesochs.'“
  • „…über seine Kompassnadel und – ja, davon muss man ausgehen – Friedrich den Großen: ‚Mein Kompass geht so: Menschenrechte – keine Kompromisse. Rechtsstaat – zero tolerance … Lebensstil (( was Ficken und solche Sachen betrifft – Fritz zwo: jeder soll nach seiner Fasson (oder facon)…))'“.
  • „…über die Erderwärmung: ‚ich bin sehr für den Klimawandel. Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte. Wir sollten den Klimawandel nicht bekämpfen, sondern uns darauf einstellen.'“

Wie lässt sich verstehen, dass dieser zweifellos gebildete, promovierte Musik- und Theaterwissenschaftler, der in einer beispiellosen Karriere vom Musikkritiker zum Vorstandsvorsitzenden eines der bedeutendsten Verlagskonzerne Europas aufstieg, den er seit mehr als 20 Jahren überaus erfolgreich führt, der die Firmenerbin Friede Springer derart begeisterte, dass sie ihm ein Aktienpaket im Wert von ca. einer Milliarde Euro schenkte (von der Süddeutschen Zeitung als „größter Enkeltrick der Geschichte“ bezeichnet), wie kann es sein, dass dieser smarte Überflieger gegenüber Führungskräften seines Konzerns derart niveaulose, törichte Überzeugungen vertritt?

Friede Springer, Mathias Döpfner, Kai Diekmann, Julian Reichelt

In seiner in der Bildzeitung veröffentlichten Entschuldigung erklärt Döpfner, es gelinge ihm nicht immer, private Nachrichten im korrekten Ton zu schreiben: „Wenn ich wütend oder sehr froh bin, wird mein Handy zum Blitzableiter. Ich schicke dann manchmal Menschen, denen ich sehr vertraue, Worte, die ‚ins Unreine‘ gesagt oder getippt sind. Weil ich davon ausgehe, dass der Empfänger weiß, wie es gemeint ist.“

Aber auch „ins Unreine getippt“ bleiben es seine Überzeugungen. Und eleganter formuliert wären sie genauso empörend. Herr Döpfner möge uns doch bitte nicht weismachen wollen, die Mitteilungen an seine Buddies im Springer-Führungszirkel entsprächen nicht seinem wirklichen Denken. Eher sind es doch seine an die Öffentlichkeit gerichteten Äußerungen, die „political correct“ angepasst, gefiltert und aufpoliert werden.

Chatmitteilungen des Springer-Chefs an seine leitenden Mitarbeiter, die an Meinungsstärke wahrlich nichts zu wünschen übrig lassen, sind mitnichten rein private Äußerungen. Sie sind Teil der Führungskommunikation mit Ausstrahlung auf die gesamte Führungskultur des Unternehmens. Wenn Döpfner in vertrautem Kreis seine Einstellung zu grundlegenden politischen Vorgängen kundtut, dann lässt er keinen Zweifel daran, wie der Chef denkt. In einem Medienkonzern wie Springer, der seit vielen Jahrzehnten höchst engagiert öffentliche Meinungsbildung betreibt, ist dies von besonderer Brisanz. Die übliche verlegerseitige Zurückhaltung, den Redaktionen keine Vorgaben zu machen, übrigens auch in den Compliance-Regeln des Springer Verlags verankert, wird dadurch konterkariert.

Indes hat sich Mathias Döpfner derlei Zurückhaltung oft gar nicht erst auferlegt. Im letzten Wahlkampf forderte er beispielsweise den damaligen Bild-Chefredakteur Reichelt, angeblich ein Ziehsohn von ihm, in aller Deutlichkeit zur Unterstützung der FDP auf. Sieben Wochen vor der Wahl schrieb Döpfner ihm (laut „Zeit“): „Unsere letzte Hoffnung ist die FDP. Nur wenn die sehr stark wird – und das kann sein – wird das grün rote Desaster vermieden. Können wir für die nicht mehr tun. Die einzigen die Konsequenz gegen den Corona Massnahmen Wahnsinn positioniert sind. It’s a patriotic duty.“ Eine Woche später setzte er nach: „Kann man noch mehr für die FDP machen? Die sollten 16 Prozent mindestens kriegen.“ Und zwei Tage vor der Wahl: „Please Stärke die FDP.“

Wie soll man die Diskrepanz zwischen dem kultivierten öffentlichen Döpfner, Kunstliebhaber und zuweilen Schöngeist, wie man hört, und dem groben, unkultivierten, ordinären Schreiber primitiver, dumpfbackiger Chatmitteilungen an Mitarbeiter interpretieren?

Mich erinnert das Ganze nicht zuletzt an eine Gruppe männlicher Jugendlicher, in denen derjenige die Alpha-Position einnimmt, der die größte Klappe hat und mit den krassesten, coolsten Sprüchen imponiert. Der selbstbewusst gegen das üblicherweise Gebotene verstößt und sich traut, die Regeln von Anstand und geltender Moral zu brechen, was die anderen so nicht wagen. Dieser Anführer prägt aber nun die Kultur der Gruppe.

Vielleicht hat der erfolgsverwöhnte und durch die überaus spendable Schenkung der Gründerwitwe zum Großaktionär gewordene Medienmanager, der mit einer Körpergröße von gut zwei Metern den überwiegenden Teil seiner Mitmenschen deutlich überragt, auch das Gefühl eingebüßt, sich rechtfertigen zu müssen, sei es gegenüber den Mitarbeitern oder dem handverlesenen Aufsichtsrat.

Es ist jedenfalls absolut inakzeptabel, wenn der Vorstandvorsitzende eines bedeutenden Medienhauses seinen leitenden Mitarbeitern und Redakteuren Denkweisen und Wertmaßstäbe vorlebt, wie sie eher für rechtspopulistische Kreise charakteristisch sind: Einstellungen, mit denen ganze Menschengruppen pauschal entwertet und gesellschaftliche Feindbilder geschürt werden.

Derartige Gesinnungen werden in der Soziologie als „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bezeichnet. Zu deren Symptomen zählt übrigens nicht zuletzt Sexismus.

Ergänzungen am 21.04.2023

Man mache sich bewusst, in welch sensiblen Feld sich diese Affäre bewegt. Mathias Döpfner kontrolliert und führt ein Medienunternehmen, das mit großer Reichweite und großem Einfluss öffentliche Meinungsbildung betreibt. Der von den Presseorganen des Springer Verlags, allen voran der Bildzeitung, ausgeübten gesellschaftlichen Meinungsmacht sollte auf Seiten der Journalisten, vor allem aber auch des Verlegers, eine an den Grundsätzen der Medienethik orientierte Verantwortungshaltung entsprechen. Der Springer-Chef wäre gut beraten, bei seinen führenden Mitarbeitern und Chefredakteuren ein Bewusstsein für die ethische Dimension journalistischen Handelns zu wecken. Stattdessen flüstert er ihnen, seiner offenkundigen Lust am Tabubruch frönend, als Scharfmacher Parolen ein, die den beklagenswerten gesellschaftlichen Trend einer regressiven Entzivilisierung befeuern.

Am Ende seiner „Entschuldigung“ in der Bildzeitung spricht Mathias Döpfner die Lehren an, die er aus der Tatsache zieht, dass die an Personen seines Vertrauens „ins Unreine getippten“ Worte weitergegeben wurden. Eine dieser Lehren bleibe „die Idee von der ‚Gedankenfreiheit‘“.

Dieser Einfall Döpfners zeigt einmal mehr, wie schräg, wie exzentrisch der Springer-Chef denkt. Der Verweis auf die Idee von der „Gedankenfreiheit“ passt in seinem Fall doch gar nicht. Selbstredend kann Herr Döpfner jederzeit denken, was er will, doch hier geht es um seine Kommunikation mit ihm unterstellten Führungskräften, denen er mitteilt, wie und was er denkt. Dass dies in einer auf Vertraulichkeit angelegten Kommunikation geschieht, macht deren Einfluss auf die Adressaten nur umso wirkungsvoller.

Um deutlich zu machen, wie verstiegen der Verweis auf „Gedankenfreiheit“ im Fall Döpfner ist, zitiere ich zwei Beispiele, die Wikipedia zur historischen und politischen Bedeutung des Liedes „Die Gedanken sind frei“ anführt.

„Immer wieder war das Lied in Zeiten politischer Unterdrückung oder Gefährdung Ausdruck für die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit.
Der Vater Sophie Scholls, Robert Scholl, wurde Anfang August 1942 wegen hitlerkritischer Äußerungen inhaftiert. Sophie Scholl stellte sich abends an die Gefängnismauer und spielte ihrem dort einsitzenden Vater auf der Blockflöte die Melodie vor.
Auch in der tagespolitischen Auseinandersetzung gegen staatliche Überwachung und Restriktion wird das Lied häufig gesungen. 1989 wurde während der friedlichen Revolution in der DDR das Lied von Mitgliedern der Dresdner Staatskapelle auf dem Theaterplatz in Dresden gespielt und von tausenden Demonstranten mitgesungen. Es war ein ergreifender Höhepunkt der damaligen historischen Ereignisse.“

Das sind die Kontexte, in die der Begriff Gedanken- oder Meinungsfreiheit gehört.

Mathias Döpfner sei die zweite Strophe des Liedes ans Herz gelegt:

Ich denke, was ich will,
und was mich beglücket,
doch alles in der Still,
und wie es sich schicket.

Mein Wunsch und Begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

Außerdem:
  • Kommentare der Spiegel-Journalisten Markus Feldenkirchen und Sabine Rennefanz – Der Spiegel, 14.04.2023
  • Der allerschönste GrößenwahnLaura Hertreiter und Willi Winkler – Süddeutsche Zeitung, 14.04.2023
    • „Es gehörte immer zum Geschäftsmodell des Medienimperiums Springer, die Würde des Menschen anzutasten. Aber mit seinen internen Botschaften hat Mathias Döpfner die Abgründe jetzt noch einmal klar sichtbar gemacht.“
  • Die «Zeit» wollte Mathias Döpfner blossstellen und hat sich blamiert Marc Felix Serrao – Neue Zürcher Zeitung, 17.04.2023
    • „Der viel zitierte Bericht der Hamburger Wochenzeitung über den CEO von Axel Springer illustriert, wie ein Medium durch einen Mangel an Distanz und Differenziertheit zum Spielball von Informanten werden kann. Das Ergebnis ist schlechter, unfairer Journalismus.“
    • Denkraum-Kommentar: Der Deutschland-Chef der NZZ bemüht sich wacker, dem Springer-Chef zur Seite zu eilen. Im Wesentlichen bezweifelt er, dass Döpfners Chatmitteilungen dessen tatsächliches Denken wiedergeben, da der Kontext des Dialogs unbekannt ist, in dem die Äußerungen stattgefunden haben. Jeder mag selbst entscheiden, für wie stichhaltig er diese Begründung hält. Die weiteren Argumente des Schweizer Journalisten sind derart weit hergeholt, dass sie keinesfalls überzeugen können.
  • Der Fairness und Vollständigkeit halber soll hier auch ein Beispiel für den „anderen Döpfner“, den erfolgreichen, weitsichtigen Medienmanager verlinkt werden.