Euro: Countdown eines Suizidversuchs

Europas führende Euro-Mediziner machen es spannend.

Ein Staatsbankrott Griechenlands käme dem öffentlich angekündigten Suizid eines Patienten im Beisein seiner Ärzte gleich, die ihre Rettungsmaßnahmen mit den Worten eingestellt haben, „ja, wenn Du unbedingt willst, bitte schön“.

Der Patient stammt aus bester alt-europäischer Familie, entwickelte sich aber zum schwarzen Schaf und ist, obschon wohlhabende Verwandte ihm mit Darlehen unter die Arme griffen, inzwischen Sozialhilfeempfänger  zudem der „Idiot der Familie“. Die Ärzte kommen aus der nächsten Verwandtschaft, haben ihre Kredite zwar längst verloren gegeben, sorgen sich aber, auch noch für die Sozialhilfe aufkommen zu müssen.

Der Patient ist indes überzeugt, die verordnete Medizin habe ihm nicht geholfen, sondern seinen Zustand im Gegenteil gravierend verschlimmert, und viele Experten teilen seine Auffassung.

Während die Mehrzahl der renommierten Weißkittel fürchtet, Suiziddrohungen könnten im Familienclan Schule machen, und sich genervt abwendet, sehen andere ihre Reputation gefährdet und scheuen unkontrollierbare Turbulenzen im familiären Umfeld. Einige plädieren bereits für künstliche Ernährung, finanziert aus der Gemeinschaftskasse.

Fernsehteams haben sich vor der Klinik versammelt und berichten live. Die Welt blickt gebannt auf das Drama: Grecid, Eurocid oder gar Eucid?

Angeblich liegen die erst kürzlich bevollmächtigten Patientenvertreter und die etablierten europäischen Medizinpäpste noch gerade mal eine Milliarde Euro auseinander – die gewöhnlich bestens informierte taz-Wirtschaftsexpertin Ulrike Herrmann sprach neulich bei „Jauch“ sogar von nur 450 Millionen Euro.

Aber darum geht es nicht. Bei diesem Kampf „David gegen Goliath“ geht es zunächst um die Deutungsmacht bei der Krisenanalyse und um die daraus abgeleitete Therapiemethode. Sodann darum, wer die Macht hat, seine Sichtweise gegen die der anderen Partei durchzusetzen. (Übrigens kennt man auch an der Ägäis die ostfriesische Weisheit „wenn di dat Woter bit ann Hals steiht, dörfst du nich in de Knee gohn.“)

Bekanntlich sind die Davids dieser Welt keineswegs chancenlos, wenn sie die Punkte kennen, an denen die andere Seite verwundbar ist (vgl. Siegfrieds Abgang in der Nibelungensage). Und die gewaltigen Schwachpunkte der Eurozone sind Tsipras und Varoufakis bestens bekannt. Wenn sie Nerven zeigen, haben sie beste Chancen, dass Merkel und Co. letztlich einknicken und Griechenland am Ende als Sieger dasteht. Hat aber Merkel die besseren Nerven und lässt das Wasser kaltblütig weiter steigen, dann endet die Sache wohl wie beim eigentlichen ostfriesischen Wahlspruch: „Dood, aber nich in de Knee!“

(Übrigens, angeblich soll Otto Rehakles vor einigen Tagen am Syntagma Platz gesehen worden sein. Als der legendäre Coach erkannt wurde, begann die sich rasch bildende Menschenmenge sogleich, „Otto, Otto…“ zu skandieren. Der 76jährige verschwand darauf, geleitet von seiner Ehefrau Beate, durch einen Hintereingang im Amtssitz des Ministerpräsidenten. Zu seinen populären Otto-Mottos gehört bekanntlich, „so lange nichts entschieden ist, hat man immer eine Möglichkeit.“)

∼∼∼∼∼∼∼

Überaus treffend kommentierte kürzlich Janko Tietz, Chef vom Dienst bei Spiegel Online die griechische Tragikomödie. „Schrebergärtner Schäuble“ geriere sich als  europäischer Zuchtmeister und betreibe „die Spaltung Europas mit derselben Verve, mit der er vor 25 Jahren die deutsche Einheit voranbrachte.“ Während damals die Kosten keine Rolle spielten, verrate er heute die Idee der EU.

  • Europäische Einheit: Schrebergärtner Schäuble – Kommentar von Janko Tietz – Spiegel Online, 15.06.2015
    • „Der deutsche Finanzminister gefällt sich in der Rolle des Prinzipienreiters und Zuchtmeisters. Seine Botschaft: Griechenland muss liefern.Ja was denn? Griechenland kann nicht liefern. Wenn Schäuble bei der Wiedervereinigung dieselben Maßstäbe angelegt hätte und von einem auf ganzer Linie insolventen Land Wirtschaftswachstum, Schuldenabbau und Reformen als Voraussetzung für den Einigungsvertrag verlangt hätte, wären wir heute noch nicht wiedervereint.Was damals bei der deutschen Einheit ging (Kosten bislang knapp zwei Billionen Euro), soll heute bei der europäischen Einheit nicht gehen (Kosten ein Bruchteil davon, noch dazu getragen von der gesamten EU, nicht nur von Deutschland), weil Schrebergärtner Schäuble als größter Parzelleninhaber bestimmen will, dass der Rasen der kleineren Gärten genauso akkurat geschnitten ist wie sein eigener. Die EU ist aber keine Schrebergartenkolonie. Und Griechenland muss nicht gezüchtigt werden.“ (Auszug)

Außerdem:

  • Oettinger über drohende Pleite: „Griechenland würde ab 1. Juli ein Notstandsgebiet“ – Spiegel Online 15.06.2015
    • „Was passiert mit Griechenland nach einer möglichen Pleite? EU-Kommissar Oettinger geht vom Schlimmsten aus. Der CDU-Politiker fordert einen Notfallplan für das Land in den Bereichen Energie, Polizei und Medizin.“
  • Die wahre Gefahr des Grexit – Markus Diem Meier – Never Mind the Markets, 15. Juni 2015
    • Never Mind the Markets, der Finanz-Blog des schweizer Tagesanzeigers, ist unter den deutschsprachigen Blogs zu ökonomischen Themen einer der besten. Die Analysen der drei Autoren gehören zu den fundiertesten, die ich kenne. Das gilt allemal für diesen Beitrag von Markus Diem Meier, der das Szenario eines Grexits mit seinen Neben- und Sekundärfolgen detailliert durchspielt und dabei auf Gefahren stößt, die zumindest in der Öffentlichkeit bisher nicht diskutiert werden. Außerordentlich aufschlussreich!
  • Soll Europa hart bleiben? – Sechs Argumente für und gegen den Grexit von Marcus Gatzke, Ludwig Greven & Zacharias Zacharakis – Zeit Online, 16. Juni 2015
    • „Die Eurozone und Griechenland bewegen sich auf den Bruch zu. Wie hoch wären die politischen und ökonomischen Folgen?“
  • Ach, Europa – falls jemand ein Faible für politische Lyrik hat – Denkraum, 28. Mai 2014
    • Mein Nachbar meinte neulich, derartige Gedanken dürfe man keinesfalls öffentlich äußern, „schon gar nicht als Deutscher“,  weil in hohem Maße  politically incorrect. Gottlob ist das Bloggern weltweit herzlich egal.
Hinterlasse einen Kommentar

2 Kommentare

  1. Das Problem bei dem medizinischen Vergleich ist, dass diese „Ärzte“ keinen hippokratischen Eid abgelegt haben. Aber zu diesem Drama gibt es wohl keine passenden Vergleiche.

    Außerdem ist Griechenland schon bankrott (wie auch einige andere Länder), es ist nur noch nicht bankrott erklärt. Entweder stecken wir den Verlust ein – oder bringen die Akropolis und ein paar Inseln in die Pfandleihe?

    Die Griechen haben ihre Regierung gewählt und müssen deren Entscheidung schlucken. Ein Land kann sich immer aus einer Notlage herausentwickeln, wenn es seine Bürger wollen – besonders mit so vielen eifrigen „Helfern“. Und wenn der Euro wegen ein paar Olivenhainen baden geht, dann geht er wohl unter.

    Die EU ist nichts als ein abstraktes Hirngespinnst, kein organisch gewachsener Körper. Dann fällt ein falsches Teil – oder mit einer schlechten Schweißnaht vernäht – eben mal ab. 🙂

    Grüße aus dem pragmatischen Hong Kong.

    Antworten
  2. Traumschau

     /  15. Juni 2015

    Hallo, habt ihr diese Analyse der griechischen Krise in einem Gastbeitrag bei Norbert Häring schon gelesen? Sehr interessant und aufschlussreich, weil dieser erklärt, dass die derzeitige Analyse fast aller Akteure falsch ist:

    http://norberthaering.de/de/27-german/news/400-bernegger#weiterlesen

    LG Traumschau

    Antworten

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: