Es ist keineswegs nur Paul Krugman, der eindringlich vor einer schweren, selbstgemachten, vermeidbaren Weltwirtschaftskrise warnt – es ist zunehmend die gesamte Weltelite der Ökonomen. Deren sorgenvolle Ratschläge und Ermahnungen an die Politik laufen mehr oder weniger alle auf dasselbe hinaus:
„Wenn Ihr europäischen Politiker nicht rasch umdenkt und die EU-weite Sparpolitik durch expansive, das wirtschaftliche Wachstum ankurbelnde Maßnahmen ersetzt, dann führt Ihr die Welt in eine globale Wirtschaftskrise wie zuletzt in den 1930er Jahren. Die Wachstumsimpulse sollten in dieser Situation nicht angebotsorientiert sein (wie die Maßnahmen der Agenda 2010), sondern jetzt muss die Nachfrage nach Gütern und Leistungen stimuliert werden. Das bedeutet:
- staatliche Infrastrukturprogramme trotz hoher Staatsverschuldung,
- Lohnsteigerungen, die dem Produktivitätswachstum entsprechen,
- expansive Geldpolitik, also niedrige Zinsen,
- Kreditprogramme zur Ankurbelung unternehmerischer Aktivitäten etc.
Also weniger Milton Friedman, stattdessen mehr John Maynard Keynes.“
Man kann sie übrigens alle an einem einzigen Ort im Internet nachlesen, die gesammelten Diagnosen und Warnungen der Ökonomen-Elite: beim Project Syndicate (About Project Syndicate). Die Artikel sind kurz und prägnant, selten länger als eine DIN A 4-Seite, und die meisten wurden professionell ins Deutsche übersetzt. Ich frage mich oft: lesen das unsere politischen Entscheider? Oder machen sie sich, wenn nicht dort, auf anderem Wege mit den Analysen und Empfehlungen der Eliteökonomen dieser Welt vertraut?
Vielleicht noch wichtiger: Konfrontieren sie ihre eigenen Experten – die Weidmanns und Asmussens, auf deren Fachkompetenz sie so große Stücke halten – mit den Auffassungen der Top-Ökonomen? Werden deren Analysen und Handlungsempfehlungen intensiv, unvoreingenommen und ergebnisoffen diskutiert? Und wird dabei bedacht, dass die beiden eben genannten Herren als bekennende Verfechter der gegenwärtigen Austeritätspolitik für den derzeitigen Schlamassel ganz wesentlich mitverantwortlich sind – und daher gewiss wenig geneigt, sich nun selbst Lügen zu strafen? Ich empfehle in diesem Zusammenhang wärmstens einen Beitrag von Albrecht Müller (Nachdenkseiten): Die großen Versager und ihre Ablenkungsmanöver.
Hier eine Zusammenstellung einschlägiger Analysen und Kommentare von Top-Ökonomen zur Eurokrise aus den letzten Monaten beim Project Syndicate.
April
- Kenneth Rogoff, Ohne zentrale (Be-)Steuerung kein Euro – 04.04.2012
- Daniel Gros, Die große Lockerung – 05.04.2012
- J. Bradford DeLong, Die Widerlegung der Friedmans – 30.04.2012
Mai
- Joseph E. Stiglitz, Nach der Sparpolitik – 07.05.2012
- Barry Eichengreen, Is Europe on a Cross of Gold? – 11.05.2012
- Mohamed A. El-Erian, Who is Responsible for the Greek Tragedy? – 17.05.2012
- Nouriel Roubini, Griechenland muss raus aus dem Euro – 17.05.2012
- Robert J. Shiller, Meine Worte an die frisch gebackenen Finanzfachleute – 22.05.2012
- Peter Boone, Simon Johnson, Der Euro erwartet sein Urteil – 22.05.2012
- Jomo Kwame Sundaram, A Global New Deal – 22.05.2012
- Michael Spence, Warum hören Volkswirtschaften auf zu wachsen? – 23.05.2012
- Martin Feldstein, Frankreichs zerbrochener Traum – 26.05.2012
- Emmanuel Guerin, Laurence Tubiana, Preparing for the Green Exit – 30.05.2012
- Andres Velasco, An Argentine Guide to the Greek Crisis, 30.05.2012
- J. Bradford DeLong, Die wirtschaftlichen Kosten der Angst – 31.05.2012
Juni
- Daniel Gros, Demokratie versus Eurozone – 01.06.2012
- Kenneth Rogoff, Austerität und Schulden realistisch betrachtet – 01.06.2012
- Paul Volcker, Ist eine globale Finanzreform möglich? – 04.06.2012
- Harold James, Europa in Splittern – 05.06.2012
- Laura Tyson, Der Austeritätskurs ist ein Fehler – 06.06.2012
- Christopher T. Mahoney, Living Europe’s Nightmare – 07.06.2012
- George Soros, Hegemon wider Willen – 07.06.2012
- Kemal Dervis, Sparsames Wachstum? – 08.06.2012
- Ana Palacio, Europa, in Misstrauen geeint – 11.06.2012
- Hans-Werner Sinn, Bankenunion? – 13.06.2012
- Dani Rodrik, Das Ende der Welt, wie wir sie kennen – 13.06.2012
- Jeffrey Frankel, Which Eurobonds? – 14.06.2012
- Wolfgang H. Reinicke, Ein größerer Zweck jenseits der Macht – 14.06.2012
- Nouriel Roubini, Die Weltwirtschaft in schwerer See – 15.06.2012
- Yannos Papantoniou, Griechenlands Katharsis – 15.06.2012
- Julia Gillard, Lee Myung-bak, Das Wachstumsevangelium – 17.06.2012
- Simon Johnson, Raubtierkapitalisten und Professoren – 18.06.2012
- Anne-Marie Slaughter, Die Erneuerung des europäischen Traums – 18.06.2012
- Michael Spence, Klarheit über Sparpolitik, 19.06.2012
- Robert Skidelsky, Das verlorene Paradies der Arbeit, 21.06.2012
- George Soros, Wie Europa sich selbst retten kann, 24.06.2012
(wird fortgesetzt)