Das Grass-Gedicht: Was zutrifft und was nicht (3)

Analyse des Gedichts „Was gesagt werden muss“ von Günter Grass: 3. Abschnitt

(3) Jetzt aber sage ich, was gesagt werden muß, weil aus meinem Land – das von ureigenen Verbrechen, die ohne Vergleich sind, Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird – ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden soll (rein geschäftsmäßig, wenn auch mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert), dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist, doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will.

Dieser Grass’sche Bandwurmschachtelsatz enthält, wenn man ihn entschachtelt, folgende 6 Aussagen:

  1. Grass sagt jetzt, „was gesagt werden muss“, weil aus Deutschland („meinem Land“) „ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden soll“.
  2. Die U-Boot-Lieferung soll „rein geschäftsmäßig“ erfolgen, „wenn auch mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert“.
  3. Deutschland wird von seinen „ureigenen Verbrechen (an den Juden), die ohne Vergleich sind, Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt“.
  4. Die Spezialität des gelieferten U-Boots besteht darin, „allesvernichtende Sprengköpfe“ an Orte im Iran lenken zu können, an denen Atombomben vermutet werden.
  5. Dort ist aber „die Existenz (selbst) einer einzigen Atombombe unbewiesen“.
  6. Doch schon „die Befürchtung (will) von Beweiskraft sein“.

Angesichts der Zuspitzung des iranisch-israelischen Konflikts und der israelischen Drohungen, die iranischen Atomanlagen mit militärischen Mitteln vernichten zu wollen, kann man die bevorstehende Lieferung des 4. von insgesamt 6 vereinbarten Dolphin-U-Booten an Israel allerdings als Alarmsituation ansehen, die danach drängt, die Problematik dieses von Deutschland hochsubventionierten Verkaufs atomwaffentauglicher U-Boote an Israel warnend ins Blickfeld zu rücken. Der aus dem Bundeshaushalt  beigesteuerte Kostananteil für die ersten 5 Boote beträgt nach übereinstimmenden Informationen aus verschiedenen Quellen ca. 900 Mill. Euro.

Die nach meiner Kenntnis detaillierteste verfügbare Darstellung der Umstände der deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel wurde von Otfried Nassauer vom Berlin Information-Center for Transatlantic Security (BITS) verfasst (Dezember 2011). Hier ein Ausschnitt:

„Seit fast zwei Jahrzehnten baut und liefert Deutschland U-Boote für Israel. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre wurden Verträge über drei U-Boote der Dolphin-Klasse geschlossen, die 1999 und 2000 ausgeliefert wurden. Drei weitere Boote der moderneren Klasse Dolphin II oder Dolphin AIP wurden 2005 vereinbart; zwei wurden 2006 bestellt. Seit einigen Monaten kursieren Meldungen, dass Israel ein sechstes U-Boot der Dolphin-II-Klasse bestellen will. (Ist inzwischen erfolgt. MW) Die Bundesregierung hat im Haushaltsentwurf 2012 in den Einzelplan 60 (Allgemeine Finanzverwaltung) insgesamt 135 Millionen Euro eingestellt, mit denen in den kommenden Jahren „Verteidigungsgüter für Israel“ finanziert werden sollen. Der Bundestag hat dies bewilligt. Beschafft werden soll damit Boot Nummer sechs. Nun muss Israels Parlament die Mittel aus Israel bereitstellen, damit die israelische Regierung einen Vertrag mit der Industrie abschließen kann.

Israel kauft U-Boote in Deutschland, wenn und weil ihm ein erheblicher Preisnachlass gewährt wird. Anders formuliert: Wenn und weil der deutsche Steuerzahlers einen großen Teil der Anschaffungskosten trägt. So, wie bei den fünf Booten, die bislang bestellt wurden. Die Boote eins und zwei wurden vollständig aus dem deutschen Bundeshaushalt bezahlt. (Die Kosten betrugen ca. 550 Mill. Euro. MW) Boot Nummer drei gab es zum halben Preis. Bei den deutlich teureren Booten vier und fünf griff nach mehrjährigem Tauziehen eine andere Kostenteilung: Deutschland zahlt ein Drittel des Preises direkt und kaufte für ein weiteres Drittel (Rüstungs-) Güter in Israel. Israel zahlt schließlich das letzte Drittel. Beim sechsten Boot soll der Anteil des deutschen Steuerzahlers erneut etwa bei einem Drittel liegen.“

Die U-Boote können jeweils einen ganzen Monat lang kreuzen. Eines davon befindet sich ständig im Meer, um sofort zurückschlagen zu können, wenn Israel angegriffen wird.

Zurück zu Grass. Er beeilt sich, sogleich die deutschen Verbrechen gegenüber den Juden zu erwähnen und sie als solche zu qualifizieren, „die ohne Vergleich sind“. Das Schwergewicht seiner Bemerkung dazu liegt jedoch auf der Aussage, unser Land werde von diesen Verbrechen „Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt“. Was will er damit an dieser Stelle sagen? So, wie Grass es formuliert, erhält diese Aussage eine deutlich negative Konnotation. Zumindest im Zusammenhang mit dem laufenden, „mit flinker Lippe als Wiedergutmachung“ deklarierten U-Boot-Geschäft mit Israel scheint er zu beklagen, dass Deutschland von seinen Verbrechen an den Juden „Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird“. Er scheint damit andeuten zu wollen, dass dies immer wieder zu Situationen führen kann, in denen von Deutschland eine Büßerposition erwartet wird, und unser Land sich auf dieser Grundlage zu Handlungen bewegen lässt, die – aus anderen Perspektiven als dem Büßerblickwinkel betrachtet – problematisch sind.

Denn Deutschland liefert normalerweise aus gutem Grund keine Waffen in Krisengebiete. Bei Israel wird eine der wenigen Ausnahmen gemacht. Dahinter steht der Gedanke, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für die sichere Existenz Israels zukommt, dass wir wenigstens jetzt zum Schutz Israels beitragen, nach dem von uns als Land oder Volk zu verantwortenden Holocaust. Erst jüngst erklärte Angela Merkel die Sicherung der Existenz Israels in einer Rede vor der Knesset zur deutschen Staatsräson. Mit diesem Argument wird auch die hohe staatliche Subventionierung der U-Boot-Lieferungen begründet, mit denen Israel in die Lage versetzt werden soll, nach einem Atomangriff auf das Land einen Zweitschlag vom Meer aus durchzuführen, was der Abschreckung potentieller Israel-Angreifer dienen soll und gewiss auch dient. Somit ist der Vorwurf von Grass, die U-Boot-Lieferung erfolge „rein geschäftsmäßig“ und werde „mit flinker Lippe“ als Wiedergutmachung nur deklariert (2. Aussage), unzutreffend. Hätte Grass sich mit der Geschichte der deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel eingehender befasst, was man von ihm hätte erwarten können, wenn er ein derartiges Werk in die Welt setzt, so wäre ihm gewiss selbst aufgefallen, dass diese Aussage Unfug ist.

Die vierte Aussage von Grass – die deutschen U-Boote könnten dazu eingesetzt werden, einen Präventivschlag gegen die iranischen Atomanlagen auszuführen – scheint nach meinem bisherigen Kenntnisstand voll und ganz zuzutreffen, und zumindest für mich gilt, dass mir dieser Umstand bis zur Beschäftigung mit dem Gedicht von Grass nicht bekannt war.

Die fünfte Aussage, die Existenz iranischer Atombomben sei unbewiesen, ist ebenfalls richtig. Allerdings spricht sehr viel dafür, dass der Iran in naher Zukunft – die Expertenschätzungen reichen von ein paar Monaten bis zu ca. 3 Jahren  – über Atomwaffen aus eigener Produktion verfügen wird. Dass schon die entsprechende „Befürchtung von Beweiskraft sein will“, ist indessen wieder eine dieser Grass’schen Zuspitzungen, die einer nüchternen Überprüfung nicht standhalten.

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