Krugmans Euro-Abgesang

„Eurodämmerung“ überschreibt Paul Krugman seinen Abgesang auf unsere Währung. Nach der jüngsten Entwicklung ist ein Ende des Euro, so wie er jetzt existiert, für ihn ausgemacht. Griechenland hat Krugman längst abgehakt, der nächste Halt ist für ihn Italien, das er in Kürze in der Situation sieht, den Euro fallen lassen zu müssen und eine neue Lira einzuführen. Next Stop: Frankreich. Der prominente Blogger und Wirtschaftsnobelpreisträger macht ein durchaus apokalyptisches Szenario auf.

Einziger Ausweg: die EZB ändert sich grundlegend, lässt höhere Inflationsraten zu und akzeptiert die bisher vermiedene, in den Augen einer zunehmenden Anzahl auch europäischer Kommentatoren aber unumgängliche Funktion einer Zentralbank als „Lender of Last resort“ (Kreditgeber letzter Instanz).

Lesen Sie selbst (Übersetzung und Hervorhebungen von mir):

Eurodämmerung

Die Dinge fallen auseinander in Europa; das Zentrum hält nicht. Papandreou will eine Volksabstimmung; das Volk wird mit „nein“ stimmen. 10jährige italienische Staatsanleihen notieren jetzt bei 6.29; das ist ein Niveau, bei dem das Überrollen der bestehenden Schulden eine Zahlungseinstellung erzwingen wird, auch wenn Italien einen Primärüberschuss hat (Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen). Und da gleichzeitig von allen Seiten auf Sparpolitik gedrängt wird, erscheint eine Rezession praktisch sicher, die sämtliche Probleme des Kontinents noch verschärfen wird.

Ich habe dieses Fiasko einige Jahre lang kommentiert („I’ve been charting this trainwreck for a couple of years”) und fühle mich zu müde, das jetzt nochmal nachzuzeichnen. Sagen wir einfach, der Euro an sich war bereits eine Idee voller Mängel. Er kann allenfalls auf der Grundlage einer starken europäischen Wirtschaft funktionieren, mit einer signifikanten Inflationsrate und mit unbegrenztem Kredit für Staaten, die sich spekulativen Angriffen ausgesetzt sehen.  Doch die europäischen Eliten machten sich eine Vorstellung von Ökonomie als einer Moralangelegenheit zu eigen, propagierten durchgängig Sparpolitik, verknappten das Geld trotz niedriger Kerninflation und waren zu sehr mit der Bestrafung von Sündern beschäftigt, um wahrzunehmen, dass ohne einen effektiven Kreditgeber letzter Instanz („lender of last resort“) alles auseinanderbricht.

Im Moment versuche ich die Frage zu beantworten, wie der letzte Akt ablaufen wird. Vermutlich werden stark ansteigende Zinsen auf italienische Anleihen zu einem gigantischen Bank Run führen, infolge der Furcht, die italienischen Banken könnten bei einer Zahlungseinstellung des Staates ebenfalls zahlungsunfähig werden, und wegen der Befürchtung, dass Italien am Ende den Euro verlässt. Das führt dann zu Bankschließungen, und wenn das passiert, zu der Entscheidung, den Euro fallenzulassen und eine neue Lira zu installieren. Nächster Halt: Frankreich.

Das klingt alles apokalyptisch und unwirklich. Aber wie soll sich diese Situation auflösen? Der einzige Weg, den ich sehe, um eine solche Entwicklung zu vermeiden, würde beinhalten, dass die EZB sich grundlegend ändert, und zwar schnell.

Unabhängig davon, Herr Draghi, gefällt Ihnen Ihr neuer Job?

Heute legt Krugmann nach („Crats, Maybe, But Not Much techno“):

„Atrios beschwert sich zu Recht darüber, die in Europa verfolgte Politik als „technokratisch“ zu bezeichnen. Er meint, „wir haben Bilder von sehr verständigen, hochgebildeten, schrägen Leuten beschworen, die das Richtige tun, selbst wenn sie die Welt zerstören.“

Aber es ist mehr als das: diese vermeintlichen Technokraten haben in Wirklichkeit sowohl die Lehrbuch-Makroökonomie als auch die Lehren der Geschichte systematisch zugunsten von Phantastereien ignoriert.

Die Europäische Zentralbank hat der Zuversichts-Fee vertraut und sich eingebildet, sie kann eine Politik betreiben, die in mehreren Jahrhunderten Zentralbank-Erfahrung nicht funktioniert hat. Gleichzeitig verleugnete die europäische Politikelite die klaren Belege dafür, dass die Eurozone eine Anpassung vollziehen muss, die so gut wie unmöglich ist, wenn die Inflationsziele nicht angehoben werden.

Die Punkt ist nämlich: ich kenne Technokraten, und diese Leute sind keine – sie sind Glaubensheiler, die irgendein Zeug aufbauschen, damit ihre Vorurteile passen. (…)

Im Großen und Ganzen haben die Leute, die mit Zahlen arbeiten, es meistens richtig hinbekommen; eben weil wir von „Crats“ beherrscht werden, die ihrem Bauch mehr vertrauen als den technischen Fakten, haben wir diese Probleme.“

Es scheint, wenn ich das mal so naiv konstatieren darf, die Ökonomen sind hinsichtlich der Ursachen für inflationäre Entwicklungen in hohem Maße uneins. Es gibt dazu die verschiedensten Theorien – je nach makroökonomischer Schule, von der man überzeugt ist. Die Prägung des eigenen Denkens durch Anlehnung an einzelne Schulrichtungen seiner Wissenschaft kenne ich gut aus meinen eigenen beruflichen Zusammenhängen – Psychologie und Psychoanalyse – und würde immer einräumen, dass die Psychologie als Wissenschaft (Psychoanalyse eingeschlossen) sich insgesamt wahrlich in keinem guten Zustand befindet. Man streitet immer noch über die grundlegendsten Herangehensweisen an das Forschungsobjekt.

Diese Uneinigkeit in grundlegenden Fragen findet sich offenbar auch in der Makroökonomie (vgl. Brad DeLong, Die Wirtschaftswissenschaften in der Krise). Wie man an Krugmans Beiträgen erkennt, wird dort mit harten Bandagen gekämpft. Wir als Europäer müssen uns eigentlich wünschen, dass der Nobelpreisträger mit seiner Sichtweise Unrecht hat. Andernfalls wären wir ganz schön in die Scheiße geritten worden, von unseren „Glaubensheilern“.

Siehe auch:

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3 Kommentare

  1. Auch eine „schnelle Änderug der EZB“ wird den Reset-Knopf nicht mehr verhindern, weil die Zentralbank nur eine Stellschraube in einem System ist, das gerade rasend schnell kollabiert. Nicht an den Stellschrauben gilt es jetzt zu justieren, das komplette System muss ausgewechselt werden im Interesse der Menschen. Nach vorne denken ist gefragt, Zeitverlust können wir uns nicht mehr erlauben.

    Saludos del Uhupardo
    http://uhupardo.wordpress.com/2011/11/03/griechenland-ist-unwichtig-der-tag-nach-dem-crash/

    Antworten
  1. Paul Krugman zur Euro-Krise: ein Loch ist im Eimer « Denkraum
  2. Die Logik des Misslingens « Denkraum

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